Würdig der Unterstützung

Wenn man von Werten und Normen spricht, die in einer Gesellschaft verankert sind, so kommt man nicht umhin, auf jene Menschen zu blicken, die sich außerhalb dieser Normen bewegen. Oft werden sie dafür verurteilt und Hilfe wird ihnen verweigert. Genau hier liegt das Problem.

Von: Mirjam Bauer

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Armendienst 37/1 im März 2022

(c) VinziWerke

In einer Gesellschaft, die sich in einem großen Maße an Leistung orientiert und in derer sich der Wert des Menschen an seiner Produktivität und Nützlichkeit bemisst, gibt es unweigerlich „Verlierer*innen“ – Menschen, die dabei nicht mitkönnen.

Die Menschen, mit denen wir im VinziTel arbeiten – Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind – werden oft als selbst Schuld an ihrer Lage angesehen. Falsche Entscheidungen, Konsum von Suchtmitteln, Faulheit, Kriminalität oder sonstiges „abweichendes Verhalten“. Abwertung und Ausgrenzung sind Erfahrungen, die viele unserer Gäste machen. Teil der Gesellschaft zu sein, anerkanntes Mitglied in ihr zu sein und ein „normales“ Leben zu führen (was auch immer das sein mag), sind Bedürfnisse der meisten Menschen. Zu merken, dass man diesen Herausforderungen (vorübergehend oder dauerhaft) nicht gewachsen ist, erzeugt Spannung und Druck. Es wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl aus und ruft Gefühle von Scham hervor.

Im VinziTel geht es immer um den einzelnen Menschen mit seiner*ihren individuellen Geschichte und Lebenssituation. Nur möchte ich heute nicht über „Einzelschicksale“ schreiben, sondern genau dies vermeiden. Armut und Wohnungs- oder Obdachlosigkeit als ihre Extremform darf nicht individuell verortet werden. Es ist notwendig zu sehen, dass Ressourcen und Bildungs- sowie Lebenschancen ungleich verteilt sind und dass strukturelle Bedingungen dafür sorgen, dass Menschen weniger Teilhabechancen und weniger Zugang zu Ressourcen haben. Somit darf man Menschen nicht die alleinige Verantwortung für ihre Lebenslage und Probleme zuschieben. Es darf keine Unterscheidung getroffen werden, wer würdig oder unwürdig ist Unterstützung zu erhalten. Eine solidarische Gesellschaft muss sich um diejenigen sorgen, die von Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind. Und ganz besonders um diejenigen, die „ganz unten“ sind. Dabei darf es nicht um eine Kosten-Nutzen-Rechnung gehen, also darum, bei wem sich Unterstützung „auszahlt“. Es muss darum gehen, jenen zu helfen, die Hilfe brauchen. Bedingungslos.