An zwei Tagen stellten die VinziWerke im Rahmen eines Symposiums die Frage: „Warum ist Armut weiblich*?“ Teilnehmer*innen beschäftigten sich intensiv mit Ursachen und Folgen von Frauen*-Armut und erarbeiteten bereits erste Handlungsempfehlungen. Über den Sommer wird ein Papier erarbeitet, das in weiterer Folge politischen Verantwortlichen präsentiert wird.

„Warum ist Armut weiblich*?“ – dieser Frage stellten sich die VinziWerke anlässlich des Jubiläumsjahrs ihrer Frauen*-Einrichtungen unter dem Dach des Tochtervereins VinziHelp. Rund 70 ausgewählte Gäste aus sozialen Organisationen, NGOs, Wissenschaft, Politik und Einrichtungen der öffentlichen Hand begrüßten die VinziWerke an zwei Tagen. Darunter Professorin der WU Wien Karin Heitzmann, Stv. Landesgeschäftsführerin des AMS Steiermark Yvonne Popper-Pieber, Nationalratsabgeordnete Andrea-Michaela Schartel, Landtags-Klubobfrau Sandra Krautwaschl, Landtagsabgeordnete Veronika Nitsche, Bürgermeisterin Elke Kahr, Gemeinderätinnen Ulrike Taberhofer und Zeynep Aygan-Romaner und viele weitere mehr. Durch die Auftaktveranstaltung führte Moderatorin Sabine Friesz; am Freitag eröffnete die frisch gewählte VinziWerke-Obfrau Martina Schröck das Symposium, moderiert wurde es von Susanne Konstanze Weber.
Festakt mit Musik und Gesprächen
Ein Abend mit Gesprächen und Musik bildete am Donnerstag, den 29. Mai, den Auftakt zum Symposium. VinziWerke-Geschäftsführerin Nicola Baloch: „Armut läuft versteckt ab, vor allem wenn sie Frauen* betrifft. Sie werden deshalb oft übersehen, auch, weil sich Frauen* in Not selten im öffentlichen Raum aufhalten. VinziWerke-Gründer Pfarrer Wolfgang Pucher hat immer betont, dass es zu unseren Grundaufgaben gehört, uns um jene zu kümmern, die durch alle Netze gefallen sind. Deshalb ist dieses Symposium so wichtig.“ In einem Podiumsgespräch legten Leiterinnen und Mitarbeiterinnen der VinziWerke Herausforderungen dar, mit denen sie in ihrer täglichen Arbeit mit Frauen* konfrontiert werden. Immer wieder stoßen sei dabei auf Fragen, auf die es keine Antworten gibt: Wie finden wir für Frauen* ein Zuhause, die keine Ansprüche haben? Wo können psychische Erkrankungen günstig und schnell behandelt werden? Wie können Frauen* mit finanziellen Mitteln auskommen, die unter der Armutsgefärdungsschwelle liegen? Der Abend wurde durch musikalische Einlagen der Singer/Songwriter*innen Lilli & Rosi mit David Era und dem Grrrls DJ-Set by Adriana Celentana und Rosachrom abgerundet.
Keynote: Ist Armut weiblich?
Armut ist weiblich
Die Kurzfassung der Antwort auf die Fragestellung des Symposiums lieferte am Freitag, den 30. Mai, Karin Heitzmann, habilitierte Sozioökonomin und Professorin am Institut für Sozialpolitik an der WU Wien: Frauen* sind stärker von Armut betroffen als Männer*. In absoluten Zahlen spiegelt sich diese Behauptung nicht derart dramatisch wider. So sind zwölf Prozent aller in Österreich lebender Männer* armutsgefährdet, bei den Frauen* liegt der Prozentsatz bei 15.
Im Detail zeigen sich allerdings deutlichere Tendenzen: 32 Prozent aller alleinlebenden Pensionsbezieherinnen* einkommensarm, bei den Männern* trifft das auf 16 Prozent zu. Dass sich Armut erst im Alter deutlich zeigt, liege mitunter am Ausmaß der Erwerbstätigkeit. Demnach arbeiten 93 Prozent aller Männer*, wenn sie Kinder unter 15 haben, acht Prozent von ihnen in Teilzeit. Bei Frauen* liegt die Quote bei 71 Prozent, wobei 74 Prozent der erwerbstätigen in Teilzeit beschäftigt ist.
Kinderarmut
Einen besonderen Fokus legte Karin Heitzmann auf Kinderarmut und untermalte mit Zahlen die Tatsache, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht nur stark von Armut betroffen sind, sondern diese auch vererbt bekommen: Nur 5,9 Prozent der Kinder, deren Eltern eine Pflichtschule abgeschlossen haben, bestehen eine AHS- oder BHS-Matura, nur 5,8 Prozent schließen eine Hochschule ab.
Fazit
In ihrer Ursachenforschung stellte die WU-Professorin fest, dass Armut im Allgemeinen, Frauen*-Armut im Spezifischen selten das Resultat von persönlichem „Versagen“ ist. Viel mehr sind Lösungsansätze in strukturellen und gesellschaftspolitischen Maßnahmen zu finden. So würden Maßnahmen zur Stärkung sozialer Grundrechte und der Grundversorgung Armut verhindern. Armut bekämpfen könne man wiederum, indem man multiprofessionelle, maßgeschneiderte Unterstützungsangebote schafft bzw. ausbaut.
Lebenserfahrung
In einem bewegenden Buch erzählt Armutsaktivistin und Kolumnistin Daniela Brodesser aus ihrem persönlichen Leben in Armut. Wie ein Schicksalsschlag ihr Leben für immer veränderte, wie einsam und beschämend sie ihr Leben in dieser Zeit empfunden hat und wie ihr Twitter geholfen hat, da wieder herauszukommen hält sie auf knapp 100 Seiten unter den einfachen Titel „Armut“ fest. Aus persönlichen Gründen konnte die Autorin leider nicht teilnehmen, eine Lesung aus ihrem Buch hinterließ dennoch ein schweigsames, nachdenkliches Publikum. Spätestens beiden Worten „I am my mother’s savage daugther“ (dt. „ich bin meiner Mutter wilde Tochter) von Migrant*innenbeirats-Vorsitzenden Irina Karamarkovic, die mit musikalischer Einlage das Programm auflockerte, kam wieder gute Laune auf.
Podiumsgespräch: Ursachen von Frauen*-Armut
Empowerment-Projekt
In einem vierminütigen Video erzählen fünf von Armut betroffenen Frauen von ihren Erfahrungen mit Einsamkeit, Wohnungslosigkeit sowie den damit verbundenen gesundheitlichen und psychischen Belastungen. Es entstand in Folge eines theaterpädagogischen Projekts im Vorfeld des Symposiums, das von der Theater- und Kulturinitiative Interact begleitet und von der Fotografin Marija Kanizaj und ihrer Grazer Kreativagentur Rodarich dokumentiert wurde. Es diente als Einstimmung auf eine Podiumsdiskussion.
O-Töne
Bürgermeisterin Elke Kahr: „Das Video spiegelt wider, was ich in täglichen Beratungsgesprächen höre. Frauen*-Armut kann nur auf einer politischen Ebene verbessert werden. Dazu braucht es aber zuerst einen gesellschaftspolitischen Diskurs, der nicht auf Menschen herabschaut.
Stv. AMS-Landesgeschäftsführerin Yvonne Popper-Pieber: „Leider muss man feststellen, dass sich an den Lebensrealität von Frauen* wenig geändert hat. Als beratende Anlaufstelle tun wir, was möglich ist, stoßen aber leider auch auf Grenzen, da wir natürlich Gesetze einhalten müssen.“
Interact-Mitglied Daniela Hoppaus: „Das Video berührt und bewegt mich, weil ich an den Workshops teilgenommen habe. Ich wünsche mir, dass Frauen mit ihren Wünschen ernst genommen werden und dass man Respekt für ihre Situation entgegenbringt.“
Seddwell-Center-Gründerin Debbie Adams: „In unserer Organisation arbeiten wir mit Menschen aus mittlerweile über 40 Nationalitäten zusammen, die aber aufgrund ihres Migrationshintergrundes oft keine Anstellung finden. Wenn ich mit Geschäftsführer*innen spreche und sie frage, ob sie mich in ihrem Unternehmen anstellen würden, höre ich oft ein ‚ja, sofort!‘ – ich fordere sie daraufhin dazu auf, einen von diesen tollen Menschen aufzunehmen.“
Thementische: Ursachen und Wege aus der Frauen*-Armut
Handlungsempfehlungen
An Thementischen diskutierten die Teilnehmer*innen verschiedene Aspekte der Frauen*-Armut. So hätten Frauen* in existenziellen Notlagen oft Angst, aufgrund ihrer Situation von ihren Kindern getrennt zu werden – vor allem, wenn sie von Gewalt betroffen wären. Eine Enttabuisierung und Abbau von Hürden könnten sie dabei unterstützen, wieder Fuß zu fassen.
Gleichstellung
Die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit bildete einen Schwerpunkt, denn sie würde nicht zur Benachteiligung in der Arbeitswelt beitragen, sondern auch durch einen Mangel an Kinderbetreuungsangeboten befeuert werden. In diesem Zusammenhang wurde ein Appell für die Gleichstellung der Geschlechter in der Bezahlung, Staffelungen in Unterstützungsleistungen und der Forcierung von Modellen wie dem Pensionssplitting ausgesprochen.
Rechtsberatung
Themenübergreifen wurde der Mangel an Angebot der Rechtsberatung und -auskunft festgestellt, der Frauen* oft ungeschützt überlegeneren Partner*innen, Ämtern oder Wohnungseigentümer*innen aussetzen würde. Sprachbarrieren und der Mangel an mehrsprachigen Angeboten würden außerdem prekäre Situationen begünstigen.
Lösungsansätze
Ein weiterer Fokus lag auf dem Thema der psychischen Gesundheit, die nicht nur Hand in Hand mit Existenzängsten, Scham und Ausgrenzung geht, sondern auch ein Entkommen aus der Armutsspirale erschwert. Das Schaffen von günstigen oder kostenlosen Angeboten, im besten Fall in Kombination mit disziplinübergreifenden Lösungsansätzen würde den Weg aus der Armut verkürzen und auch den Staat in seinen Sozialausgaben entlasten. Im persönlichen Austausch und Vernetzung sahen viele Teilnehmer*innen die Antwort auf die enorme Belastung, die Armut auf Frauen* ausübt. Dazu bräuchte es konsumfreie Räume, in denen Peer-Arbeit stattfinden kann.
Wie geht es weiter?
Ausblick
„Wir sehen den heutigen Tag als Arbeitsauftrag für uns alle. Wir müssen uns solidarisieren und gemeinsam das Netzwerk stärken, um die Erkenntnisse festzuhalten und die Politik wissen zu lassen, dass es so nicht weitergehen kann“, unterstrich resümierend VinziWerke-Geschäftsführerin Nicola Baloch, die Ideengeberin des Symposiums. Über den Sommer wird eine Redaktion gebildet, die die Ergebnisse und erarbeiteten Handlungsempfehlungen in einen Bericht zusammenfassen wird, der im Anschluss Regierungsmitgliedern auf Stadt-, Land- und Bundesebene vorgelegt wird. „Ich möchte an dieser Stelle Projektleiterin und künftige VinziLife-Leiterin Nathalie Kosel für die Organisation und Durchführung dieses Symposiums danken“, schloss Nicola Baloch ab.
Veranstaltungsempfehlung
Das nächste Highlight im Frauen*-Jubiläumsjahr der VinziWerke bildet die VinziNacht am 10. Oktober 2025 im Orpheum Graz. Die Erlöse des Benefizabends kommen zur Gänze dem Tochterverein VinziHelp zugute.
Mit freundlicher Unterstützung von:




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