Eine Perspektive für die Zukunft

Zuerst erschienen im „Armendienst in Österreich“, Jahrgang 38/5, im Dezember 2023

Zunächst verlor Elisabeth ihren Job in Ungarn. In Österreich erhoffte sie sich einen Neustart. Nur mit Glück rettete sie sich vor einer düsteren Zukunft – und wurde vom VinziSchutz aufgefangen. Von: Edina Görög-Nagy

Sonntag, spät am Abend läutet es an der Tür unserer Notschlafstelle. Es ist ein kalter Maitag und die Straßen sind noch nass vom Regen. Auf dem Bildschirm der Kamera ist schemenhaft eine Gestalt im Schein der Straßenbeleuchtung zu erkennen, welcher unsere Mitarbeiterin die Tür öffnet und unsicher eine Frau die Einrichtung betritt. Ganz eingehüllt in ihrer roten Winterjacke blickt die Frau zu unserer Mitarbeiterin und nimmt langsam ihre Mütze ab. Kurze rötliche Haare kommen darunter zum Vorschein. Am Rücken trägt sie einen Rucksack, in dem sie ihr verbleibendes Hab und Gut mit sich führt. Die Hose ist bis zu den Knien durchnässt und vor Kälte zitternd lächelt sie unsere Kollegin fragend an: „Darf ich hier schlafen?“, möchte sie in gebrochenem Deutsch wissen. „Ja, gerne! Sie sind bei uns herzlich willkommen!“, antwortet man ihr aus dem Büro und lässt sie eintreten. Im Büro nimmt die Frau auf einem leeren Sessel Platz und stellt ihren Rucksack direkt neben sich auf den Boden. „Wie heißen Sie?“, fragt unsere Kollegin. Die Frau antwortet: „Mein Name ist Elisabeth (Name geändert) und ich komme aus Ungarn.“ Gleichzeitig überreicht sie ihren Personalausweis.

Langsam und nach Zureden unserer Mitarbeiterin beginnt Elisabeth, sich ihr anzuvertrauen. „In Ungarn habe ichmeine Arbeit verloren“, beginnt sie zu erzählen. „Vor etwa einer Woche bin ich nach Graz gekommen, um mir ein neues Leben aufzubauen. Ich bin gelernte Schneiderin und möchte so schnell es geht Arbeit finden. Vorgestern habe ich hier einen Ungarn auf der Straße getroffen, der mir Hilfe, Arbeit und ein Dach über dem Kopf versprochen hat. Er nahm mich mit zu seinem Haus und wollte mir Arbeit geben. Dort angekommen, habe ich gesehen, dass es sich um ein Abbruchhaus handelt. Doch wo sollte ich hin? Also habe ich dort übernachtet.“, erzählt Elisabeth weiter und blickt dabei traurig zu Boden. In diesem Abbruchhaus nächtigten noch zwei weitere Männer. „Die Männer schliefen in einem Raum und ich im Nebenzimmer auf einer Decke als Unterlage. Matratze gab es für mich keine“, führt Elisabeth weiter aus. Mit leiser zitternder Stimme beginnt sie ihren nächsten Satz: „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und am nächsten Morgen habe ich gehört, wie die Männer in Ungarisch darüber gesprochen haben, mich als Prostituierte an Männer* zu verkaufen.“ Bei diesen Worten füllen sich ihre Augen mit Tränen und sie konnte nur noch stotternd weitererzählen: „Ich habe meinen Rucksack genommen und den Männern klar gesagt: Nein! Ich mache das nicht!“

Daraufhin wurde Elisabeth beschimpft und gegen die Wand gestoßen. Glücklicherweise konnte sie sich losreißen und davonlaufen. „Erst heute habe ich die blauen Flecken auf meinem Arm bemerkt, die mir die zwei zugefügt haben“, berichtet Elisabeth weinend und deutet auf zwei Blessuren an ihrem linken Oberarm. „Heute habe ich einen von ihnen auf der Straße getroffen. Zum Glück waren einige Passant*innen in meiner Nähe und so traute er sich nicht, mich anzusprechen. Ich bin schnell weggelaufen und habe mich versteckt. Ich bin unendlich froh, dass er mir nicht nachgelaufen ist“, erzählt sie ängstlich. „Bitte, darf ich hier schlafen? Ich möchte nicht zurück auf die Straße!“

Natürlich wurde Elisabeth in unserer Notschlafstelle aufgenommen und seither arbeiten unsere Kolleg*innen gemeinsam mit ihr an einer Zukunftsperspektive.

Immer öfter docken verzweifelte Frauen* und Männer* bei unseren Notschlafstellen mit dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben an. Auch wenn die Erfahrungen von Elisabeth einem Extrem entsprechen, so ist sie nicht die einzige, die in solch eine Situation geriet oder in Zukunft geraten wird.

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