„I, da Sandla“

Zuerst erschienen im „Armendienst in Österreich“, Jahrgang 38/3, im August 2023

Ein Gast des VitO erzähl von seinem tiefen Fall und seinem langsamen Weg zurück.
Protokolliert von: Sylvia Kieberger, VitO (Vinzenzgemeinschaft der Familienkirche Neuottakring)

Im VitO können Menschen wieder zur Ruhe kommen und neue Hoffnung schöpfen (c) Pfarre Neuottakring

Damals, ja es sind jetzt erst einige Jahre her, war ich Geschäftsmann, na keiner der Großen aber immerhin hatte ich einen Handwerksbetrieb. Zweit Mitarbeiter*innen, eine Frau und zwei Söhne. Alles war perfekt! Alles war perfekt?

Im Nachhinein betrachtet schien es bloß so. Meine Frau und ich lebten in einer der so oft von außen als Traumpartnerschaft bezeichneten Ehe. Kein Streit, aber auch keine Höhen und Tiefen, man war höflich und respektvoll, verliebt nein eher nicht mehr, von Liebe gar nicht zu reden. Aber es war eine angenehme, angesehene Familie.

Bis. Ja bis plötzlich oder gar nicht so plötzlich alles schief ging was nur möglich war.

Krankheit

Ich wurde krank, wie so viele der selbständigen, kleinen Handwerker*innen hatte ich keine Reserven, die Krankenversicherung war zu gering, um unseren Lebensstandard zu halten. Meine Frau war immer Hausfrau gewesen, wie stolz waren wir darauf, dass wir uns das leisten konnten. Zuerst verlor ich die Mitarbeiter*innen, dann die Firma, dann die Frau und die Kinder. Meine Frau konnte sich in der neuen Situation nicht zurechtfinden, sie konnte keinen Job finden und gab mir die Schuld an unseren Abstieg. Die Kinder, die wir ja wie so viel verwöhnt hatten, sahen nicht ein, dass sie sich einschränken müssen. Sie waren ja anderes gewohnt. Meine Frau zog mit unseren Söhnen zu Ihren Eltern auf den Bauernhof. Wenigstens sie war versorgt.

Erbarmungslos

Das erste Mal spürte ich die erbarmungslose Kälte der Gesellschaft, meiner Familie und meiner Freund*innen – ach ja die, hatte ich auch nicht mehr. Ich begann als Trost etwas zu trinken, ein oder zwei Bier. Bier hilft zumindest kurzfristig gegen seelische Kälte. Aber mir wurde immer kälter und kälter, ringsum fand ich niemanden den es zu interessieren schien, wie es mir ging. Und so begann der stetige Abstieg. Aus zwei-drei Bierchen wurden immer mehr und der Schnaps kam dazu. Bis ich nicht mehr in der Lage war, meine Wohnung – die ja mittlerweile auf ein kleines Zimmer geschrumpft – war zu bezahlen. Ja ich war selbst schuld. Aber die Mitleidlosigkeit, die Arroganz derer, die nicht (oder soll ich sagen noch nicht) in eine solche Situation geraten sind, war für mich unerträglich und so trank ich mir die Welt schöner. Als ich dann schlussendlich auf der Straße landete, stellte ich fest, dass es sogar hier noch eine Hierarchie gab. Hygiene war natürlich nicht mehr möglich, meine Gedanken drehten sich nur noch darum, wo ich meinen Alkohol herkriegen sollte. Einmal habe ich in meinem Alkoholnebel Kontakt zu meinen Söhnen hergestellt. Na, die haben sich aber gefreut: „Hey, was willst du von uns? Schau wie du weiterkommst, bist ja nur ein besoffener Sandler!“

Das, was ich am meisten von allem vermisst habe, waren ein gutes Wort und vor allem Respekt. Respekt mir gegenüber als Mitmensch. Als katholisch geprägter Christ hörte ich einmal in einer Predigt in der Kirche (ja, da gehe ich gerne hin; es ist trocken und meist finde ich auch einen Platz weit weg vom Altar und den anderen): „Wir Christen sehen in jedem Armen, in jedem*jeder Sünder*in und in allen, die Hilfe benötigen, Jesus Christus, unseren Bruder und Erlöser.“ Das dürften aber auch nur hohle Worte bei vielen sein.

Aber

Mir sagte einer der freundlicheren „Mitsandler“: „He, Oida, kennst des ViTO? Macht nicht viel her, ist ein Kellerlokal, aber es gibt immer etwas zu Essen. Waschen kannst du dich und es ist trocken und warm.“ Ich ging hin, ohne besondere Hoffnung, ohne Erwartung, aber besser trocken und warm, als nass und kalt.

Und das Wunder geschah: Ich hatte wieder einen Namen. Wenn man sauber ist, fühlt man sich auch wieder besser. Das Problem mit dem Alkoholverbot im und rund ums ViTO war gar nicht so schlimm. Ich konnte frühstücken und zu Mittag essen. Etwas bekam ich außerdem, was größer als all dies war: Ich bekam Respekt. Jemanden zum Aussprechen, eine Schulter zum Anlehnen und eine starke Hand, die mich stützte.

Mittlerweile versuche ich wieder auf die Beine zu kommen. Wenn es mir schlecht geht, weiß ich, wo ich Hilfe bekomme. Es wird mir finanziell geholfen, aber ich muss auch eine Eigenleistung bringen.

Ich bin jetzt wieder ICH und nicht „da Sandla“.