Aufhören, wenn’s am Schönsten ist…

Zuerst erschienen im „Armendienst“, Jahrgang 39/2, im Juni 2024

Als ich am 2. März 2010 als frischgebackene – wenn auch an Lebensjahren nicht mehr ganz so frische – Sozialarbeiterin meinen Dienst im VinziDorf antrat, hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Gut ausgestattet mit Lebenserfahrung und gut ausgebildet durch das Studium der Sozialen Arbeit übernahm ich die Funktion der stellvertretenden Leiterin des VinziDorfs, in der ich als Nachfolgerin von Nora Tödtling-Musenbichler in sehr große Fußstapfen zu treten hatte.

Ich erinnere mich sehr gut an meine erste Arbeitswoche, in der ich mich unzählige Male fragte, welcher Teufel mich geritten hat, diesen Job anzunehmen. Aber frei nach dem Motto „Aufgeben tut man einen Brief“ habe ich gekämpft – Gott sei Dank!

In diesen langen Jahren hatte ich die Gelegenheit, in einer ganz besonderen Umgebung mit ganz besonderen Menschen zu arbeiten. Eine Arbeit, die viel mehr ist als „nur ein Job“, die mir sehr viel bedeutet hat und es immer noch tut. Ich durfte so vieles erleben und erfahren und mich zu der Persönlichkeit entwickeln, die ich heute bin.

Die Begegnung mit unseren Bewohnern*, die so fein im Wahrnehmen von Emotionen und ein so unmittelbares und klares Gegenüber sind, war die stabile Basis meiner Arbeit. Ich durfte so vieles von ihnen lernen, sie ließen mich teilhaben an ihren Biografien, die oftmals einfach nur erschütternd sind. Sie lehrten mich, wie das echte Leben abseits gut behüteter Familienverhältnisse sein kann und leider oftmals auch ist. Eine Begebenheit erzählte ich oft und möchte das auch hier tun:

Es war Winter und mir war kalt, und ich sagte: „Brrr, ist mir kalt“, woraufhin mich einer unserer Bewohner mit seinen großen, lieben Augen ansah und sagte: „Puppi (so hat er mich oft genannt), du weißt gar nicht, was kalt ist…“. Niemals werde ich diese Szene vergessen. Ich war beschämt, und mir wurde so deutlich vor Augen geführt, wie privilegiert ich in meinem Leben bin! Und ja: ich habe keine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, auf der Straße zu leben und der Kälte ausgesetzt zu sein. Wie es sich anfühlt, im Freien zu übernachten, ständig in Angst – aushaltbar oftmals nur, indem man mit einer Substanz sein Bewusstsein vernebelt. Wie es sich anfühlt, von kopfschüttelnden Passanten schief angeschaut zu werden…

Begebenheiten wie diese – so viele gab es davon – machen die Arbeit im VinziDorf für mich zu dem, was sie ist! Menschen das Gefühl zu geben, zuhause zu sein, einen Ort zu haben, wo sie so sein dürfen, wie sie sind, sich nicht verstellen und sich nicht schämen zu müssen, das ist eine wunderbare Aufgabe.

Diese Aufgabe nun nicht mehr – zumindest im Hauptamt – auszuüben, war eine schwierige Entscheidung für mich. Doch irgendwann kommt der Moment, wo man weiß, die Kraft und Energie reichen nicht mehr für alles, sondern nur mehr für einen Teil. Ich werde mich einer neuen Herausforderung stellen und ab Juli als Psychotherapeutin in freier Praxis arbeiten. Dem VinziDorf bleibe ich natürlich ehrenamtlich erhalten (wenn sie mich denn haben wollen).

Mit Carina Ortner, die ab 2. Mai die stellvertretende Leitung des VinziDorf übernehmen wird, haben wir eine Kollegin gefunden, die unser Team – das ohnehin beste Team der Welt – wieder komplettiert.

Ich möchte allen Kolleg*innen im Haupt- und Ehrenamt für die wunderschöne, aufregende, lustige und berührende gemeinsame Zeit danken. Ganz besonders danke ich aber den Bewohnern*, jenen, die noch im VinziDorf leben, genauso wie jenen, von denen ich mich im Laufe der Jahre verabschieden musste. Sie werden in meinem Herzen immer einen ganz besonderen Platz einnehmen.