Neuer Geistlicher Beirat der VinziWerke: Interview mit Pater Bernhard Pesendorfer CM

Seit Ableben des VinziWerke-Gründers, Pfarrer Wolfgang Pucher, war die Funktion des Geistlichen Beirats bei den VinziWerken vakant. Auf einstimmige Einladung des VinziWerke-Vorstands übernimmt Pater Bernhard Pesendorfer CM, Pfarrer von St. Vinzenz, ab sofort diese Rolle.

Pater Bernhard Pesendorfer, CM (c) Pfarre St. Vinzenz/Robert Szeberenyi

Gibt es den einen Moment der Berufung, an den Sie sich erinnern können?

Es gab nicht den ‚einen‘ Moment, es war eine Phase der inneren Unzufriedenheit in meinem Alltag. Ich wusste, dass ich meinem Leben eine andere Richtung geben möchte, konnte aber nicht gleich genau einordnen, in welche Richtung es gehen soll. Durch gute Gespräche in Familie, Pfarre und Freund*innenkreis, aber auch durch viel inneres Hinhören und Lesen von spiritueller bzw. theologischer Literatur, und nicht zuletzt durch mein Musizieren wusste ich, dass es in die Richtung Priesteramt gehen könnte. Ich hatte gute Seelsorger zu Hause, die mir in dieser Zeit der Klärung eine große Hilfe waren und auch die Familie unterstützte mich bei meinem doch nicht alltäglichen Weg. Ich muss sagen, dass ich auch eine starkes Fundament in meinem Glauben habe, dass wir alle, so auch ich, im Leben getragen sind durch unseren lebendigen Gott. So konnte ich doch relativ klar und mutig diesen Schritt gehen, mein doch sehr geplantes Leben noch einmal neu auszurichten.

Welcher Weg hat Sie zu den Lazaristen geführt? Welche Bedeutung hat der Hl. Vinzenz von Paul dabei?

Bei meiner Suche nach einer Gemeinschaft bin ich direkt auf Vinzenz von Paul gestoßen. Zwei Aspekte sind es, die mich bis heute begeistern und auch fordern. In der Geschichte der Kirche gibt es viele Heilige, die reich geboren wurden und später alles verlassen haben. Und es gibt arm Geborene, die es wegen ihrer Intelligenz zu Ansehen und Reichtum gebracht haben. Vinzenz kam aus armen Verhältnissen, hatte die Intelligenz, es weit zu bringen und der Armut zu entkommen. In der Begegnung mit den Ärmsten ließ er sich aber inspirieren, von den eigenen Plänen einer Karriere abzulassen, und persönlich bescheiden, ein riesiges Werk für die Armen aufzubauen. Diese Größe finde ich außerordentlich inspirierend. Und dann ist das Lazarist-Sein für mich tägliche Anfrage an mein Selbstverständnis. Es ist ein großes Geschenk, in eine gute Zeit und in eine heile Familie hineingeboren zu sein, gut und sicher leben zu können, halbwegs gesund zu sein und viele Möglichkeiten zu haben. Niemand von uns sucht sich das aus, niemand kann das vorher beeinflussen. Daher ist ein gutes Leben auch ein Auftrag von Gott her, das nicht als Selbstverständlichkeit zu sehen, sondern an einer Welt mitzubauen, in der gerade die Ärmsten das auch erleben dürfen. Aus diesen beiden Gründen bedeutet das Lazarist-Sein für mich tägliches Gefordert-Sein, und darum bin ich es so gern.

Mit der Nachbesetzung des Geistlichen Beirats haben sich die VinziWerke aber auch Sie bewusst Zeit gelassen. Welche Überlegungen waren Teil des Prozesses und was hat schließlich zur Entscheidung geführt, diese Position anzunehmen?

Mir war es wichtig, nicht unüberlegt oder vorschnell in die Nachfolge des geistlichen Beirates meines lieben Mitbruders Wolfgang Pucher zu gehen. Es ist ein großes Opus das er hinterlassen hat, das entscheidet man nicht eben so nebenbei. Wie auch in seiner Nachfolge als Pfarrer von St. Vinzenz in Graz, wollte ich Zeit haben, die Menschen besser kennen zu lernen und viele Gespräche zu führen. Ich bin froh, im alten und neuen Vorstand der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg/VinziWerke sowie in den vielen Mitarbeiter*innen Menschen kennen zu lernen, die das Herz am rechten Fleck haben und das Erbe Wolfgangs gut weiterführen. Ich möchte als geistlicher Beirat zum einen für alle jene da sein, die mich als Seelsorger brauchen, als vinzentinischer Impulsgeber aber auch dazu beitragen, dass wir unsere Wurzeln nicht vergessen. Ich halte das in einer so turbulenten Zeit wie heute für ganz wichtig!

Die VinziWerke haben eine lange Geschichte, die ganz eng mit Pfarrer Wolfgang Pucher verbunden ist. Wie gelingt der Spagat, einerseits seine Nachfolge anzutreten, aber gleichzeitig Ihren eigenen Weg mit den VinziWerken zu finden? Wie möchten Sie der „Falle“ entgehen, als „neuer Armenpfarrer von Graz“ wahrgenommen zu werden?

Ich glaube, dass keiner von mir erwartet ein Wolfgang Pucher Nummer 2 zu werden, das würde jeden überfordern und niemandem gerecht. Jeder Mensch hat seine Persönlichkeit und Talente. Die sollen auch eingebracht werden. Wichtig sind mir die Gründungsimpulse von Wolfgang, denen möchte ich immer wieder nachspüren, aber auch ins Heute übersetzen. Der Titel „Armenpfarrer“ ist ein sehr zärtlicher, den kann man nicht einfach übernehmen, den muss man sich bei den Menschen verdienen. Ich lasse es auch vertrauensvoll auf mich zukommen, wo uns der gemeinsame vinzentinische Weg hinführt. Es geht für mich nicht so sehr um Titel und Bilder, das gemeinsame Hinspüren auf die Not der Menschen und dieser Zeit soll im Fokus stehen. Ich nenne nur das Thema „Schöpfungsverantwortung“, das ist hochaktuell und betrifft jeden Menschen, ob er will oder nicht.

Frédéric Ozanam hat sich als eigentlich ausgebildeter Jurist das Wirken des Hl. Vinzenz zum Vorbild genommen, es in seine Zeit (Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts) übersetzt und daraufhin die erste Vinzenzkonferenz gegründet. Wie kann man den Dienst an den Armen in die heutige Zeit übersetzen?

Die Haltung, die wir heute wieder mehr brauchen, scheint mir die Betroffenheit zu sein. Diese Haltung ist zu jeder Zeit aktuell. Es muss uns tief im Innern treffen – so wie Jesus die Menschen tief drinnen treffen konnte – wenn wir begreifen, was Gott von uns will und wozu wir ins Leben gestellt sind.

Es muss uns tief drinnen treffen, wenn wir mitmenschlichem Schicksal begegnen – so wie die Begegnung mit den Ärmsten den Hl. Vinzenz tief erschüttert hat – um unser Leben neu auszurichten.

Es muss uns tief beschäftigen, wenn wir begreifen, dass wir Netzwerke und Gemeinschaft brauchen – so wie Frédéric Ozanam ein Netzwerk ins Leben gerufen hat, das in den Vinzenzgemeinschaften die größte seiner Art weltweit hat – um gut und sinnvoll Mitmenschlichkeit zu bauen.

Ich würde mich freuen, in diesem Sinn zusammen mit vielen Frauen* und Männern*, Jung und Alt, daran weiterzubauen.

Die Katholische Kirche steht vor der großen Herausforderung der schrumpfenden Pfarrgemeinden. Bleiben überhaupt genug Menschen übrig, um die Arbeit des Hl. Vinzenz fortzusetzen und wie schaffen wir es, den Helfer*innen-Geist in ihnen zu wecken?

Als Pfarre stellt sich uns auch die Frage immer drängender, wie wir damit umgehen, dass Spiritualität und Religiosität für immer weniger Menschen Teil ihres konkreten Lebensvollzuges sind.

Und dann möchte ich auch ein Fragezeichen setzen, bei Formaten und Traditionen, die zwar wenig hinterfragt werden, aber immer mehr verblassen. Es braucht heute mehr Mut zur qualitativen Kreativität im Umgang mit religiösem Leben und Feiern aber auch bei Gemeinschaftsbildung und caritativem Tun.

In unserer Pfarre St. Vinzenz, wir leben hier ja direkte Nachbarschaft mit der Vinzenzgemeinschaft, erlebe ich viel Aufbruch und Lebendigkeit. Jung und Alt sind da in vielen Gruppen und der Liturgie. Ich freue mich Sonntags über die volle Kirche und unter der Woche auf die vielen Begegnungen. Vielleicht ist ja die vinzentinisch geprägte Pfarre ein mögliches Zukunftsmodell für eine lebendigere Kirche. Auch in den VinziWerken erleben ich Jung und Alt als begeisterte Menschen, die für Arme da sind. Auch dies wird eine der wichtigen Fragen der Kirche bleiben, wie diese Pole einander bereichern und authentisches Christsein sichtbar machen. Geben wir dem Raum, dann hat Kirche auch Zukunft!

Die Zahl der Menschen, die an der Armutsgrenze oder darunter leben, steigt und die Not wird vielschichtiger. Die VinziWerke stehen vor Herausforderungen in der Zukunft. Dazu gehört, genügend Menschen zu motivieren, sich freiwillig in den einzelnen Werken zu engagieren. Wie kann man die Brücke zu Christen schlagen, die (noch) Berührungsängste haben?

Da gibt es leider kein Patentrezept. Wichtig ist im Armendienst an den Haltungen zu arbeiten, der eigenen und denen der Anderen. Wir müssen Vorurteile abbauen, die doch sehr massiv da sind. Wir müssen uns vor zynischer Haltung hüten, die bringt viel Schaden mit sich. Wir müssen in direkten Kontakt bringen, dann stellt sich oft heraus, dass die Wirklichkeit doch anders ist, als ich sie in der Zeitung oder in social media lese. Und natürlich, dass die caritative Haltung eine unverzichtbare ist, um sich Christ*in zu nennen. So kann man auch Schritt für Schritt wachsen im besseren Verstehen der eigenen und anderen Motivation.

Als Pfarrer und Lazarist haben Sie ihre Unterstützung den VinziWerken von Beginn an zugesichert. Im Rahmen von Beerdigungen von Bewohner*innen haben Sie dieses Versprechen bereits mehrmals eingelöst. Wie erleben Sie Ihre ersten Erfahrungen in der Begegnung mit Bewohner*innen?

Begegnungen mit unseren Bewohner *innen habe ich seit meinem Eintritt bei den Lazaristen vor 20 Jahren immer wieder. Ich erinnere mich etwa an so manchen Nachtdienst im VinziNest in meiner Studentenzeit. Ich schätze das Zusammensein mit einfachen Menschen, das war auch in meinen früheren Berufen so. Ich bin sehr dankbar, dass in meinem Leben alles halbwegs gut geht und diese Dankbarkeit möchte ich durch meine Unterstützung und Arbeit in den Begegnungen auch weitergeben. Als Lazaristen sind wir Mitbrüder immer und zu jeder Zeit für die Menschen in schweren Situationen und für die Vinzenzgemeinschaften da. Ich möchte auch wieder mehr in den Vordergrund rücken, dass wir als Gemeinschaft für die VinziWerke da sind und nicht nur eine Person.

Wie stellen Sie sich Ihre Rolle in den VinziWerken in Zukunft vor und in welche Richtung würden Sie sich wünschen, dass sich die Werke weiterentwickeln? Welche Rolle wird Ihr verstorbener Mitbruder Pfarrer Pucher in dieser Entwicklung einnehmen?

Nicht zuletzt wegen des gemeinschaftlichen Engagements vieler Menschen in den Vinzenzgemeinschaften/VinziWerken und den Pfarrgemeinden können wir von Graz zurecht von der „Menschenrechtsstadt“ sprechen. Dass das aber kein Selbstläufer ist, erleben wir gerade jetzt. Ich möchte als Geistlicher Beirat und Pfarrer meines dazu beitragen, damit immer mehr wahr wird, wovon das christliche Gottesbild spricht, dass wir von Gott her als Geschwister erdacht und geschaffen sind. Die Rolle und das Bild der VinziWerke wird sehr stark von den „Zeichen der Zeit“ abhängen. Das war auch das große Anliegen des Wolfgang Pucher, zu fragen, was „jetzt“ konkret notwendig ist und wie es „jetzt“ einfach und unkompliziert umgesetzt werden kann. Wichtig ist nicht, dass wir jetzt schon wissen, was in 20 Jahren sein wird, wichtig ist, dass wir miteinander offen sind für Veränderungen und Entwicklungen. Eines wird bleiben, wie Jesus es sagt: „Die Armen werdet ihr immer um euch haben“. So bitte ich, dass wir alle gemeinsam auf dem Weg bleiben für sie! Herzlichen Dank dafür euch Allen!

Biografie

Der 1977 in Gmunden geborene Oberösterreicher stammt aus einer klassischen Arbeiter*innen-Familie und wuchs am Traunsee auf. Seine Naturverbundenheit brachte ihn in die Tischlerlehre, die ihn auch zum Orgelbau führte. Danach war er drei Jahre lang bei der Grenzgendarmerie tätig.

In seiner Heimatpfarre Altmünster war er als Organist, Firmgruppenleiter und auch als talentierter Handwerker stets gefragt, sein Noviziat bei den Lazaristen begann 2004 in Graz. Bernhard Pesendorfer legte auch einen Zwischenstopp am St. Georgs-Kolleg der Lazaristen in Istanbul ein. Dem schloss sich das Theologiestudium in Graz an, das er als Magister der Theologie beendete. 2011 legte er in der Kongregation der Mission (Lazaristengemeinschaft) seine Gelübde ab.

Zum Pastoraljahr entsandte ihn seine Gemeinschaft nach Wien in die Caritas-Gemeinde, wo er sich um Kinder aus schwierigen Familiensituationen und Männer* in problematischen Lebensumständen kümmerte. Am Hochfest Peter und Paul wurde er von Altbischof Johann Weber in der Provinzhauskirche in Graz zum Priester geweiht.

Drei Jahre lang hatte Pesendorfer die Position des Kaplans im Pfarrverband Graz-Christkönig, Graz-Hl. Schutzengel inne. Pesendorfer ist seit 2015 Superior des Lazaristenhauses Graz-Mariengasse sowie Provinzökonom der österreichisch/deutschen Provinz. Bis Herbst 2023 war er als Kinder- und Jugendseelsorger sowie Aushilfsseelsorger der Diözese Graz-Seckau tätig.