Eine persönliche Erinnerung an Wolfgang Pucher von Andrea Sailer
Zuerst erschienen im Armendienst 38/4, Oktober 2023
Wer kann schon so vom Tod sprechen, dass neben dem Abschiedsschmerz noch Platz bleibt für so etwas wie, ja: Vorfreude? Auf einen für jeden einzelnen Menschen maßgeschneiderten Himmel und auf ein beglückendes Wiedersehen dort, mit allen, die wir hier verloren haben? Wolfgang Pucher konnte das. Er wusste um seine Gabe, tröstliche Begräbnisse zu feiern und Trauernden darin Hoffnung zu vermitteln, ohne dabei den Rest an Zweifel, wie ihn jeder denkende, zur Ratio fähige Mensch in sich trägt, zu verleugnen. Nie wurde er müde zu betonen, dass alles letztlich nur eine Frage der Zuversicht und des unbeirrbaren Glaubenwollens, viel mehr noch als des Glaubenkönnens, sei. Aber so, wie er vom Himmel erzählte, bei jeden Begräbnis eines verstorbenen VinziDorf-Bewohners, bekam man Sehnsucht nach dieser Art von Jenseits – irdisch-menschlich in der Vorstellung von Glück und Heimat, und dabei doch ganz ohne alle weltlichen Bürden und Bedrohungen. Wie gern man daran glauben wollte!
Hoffnung machen, das konnte Wolfgang. Im Sinne seines legendären „Geht nicht gibt’s nicht!“ sogar über Tod und Horizont hinaus. Und was er auch noch gut konnte: Einem das Gefühl geben, willkommen zu sein. Nicht lästig, schadhaft oder falsch. Mitunter brauchte das ein wenig Zeit, denn stets hatte er tausend Dinge im Kopf, war ein energiegeladener Wirbelwind, eine agile Ideendüse, ein rastloser Handlungsmotor, bisweilen durchaus leicht zerstreut. Aber wenn er dann präsent war, war er ganz für einen da, hundertprozentig bei dem, was man ihm mitteilen wollte, der Angst vor etwas, der Sorge um jemanden, der Last, die einen plagte. Und nie kam er in solchen Augenblicken mit halbherzigen Ratschlägen oder gar mit ohnehin stets nur in die Vergangenheit weisenden Vorwürfen, sondern schaute klar nach vorn, vom unabänderlichen Jetzt in die allernächste Zukunft nur, die es zu verändern, zu verbessern, schlicht zu gestalten galt. Diese Haltung habe ich an ihm besonders geschätzt, da ich, seit ich denken kann, ein ganz unbestimmtes Gefühl der Verlorenheit und großen Unsicherheit in mir trage, dem Wolfgang großes Verständnis entgegenbrachte. Er wusste auch, dass die Menschen, die dieses unerklärliche Defizit gut ausgleichen konnten, meine Familie, Lebensfreunde, Ewigkeitsgefährten, inzwischen alle schon gestorben waren. Der letzte davon: meine Mutter, meine größte Liebe, mein „absoluter Mensch“. Als ich Wolfgang bat, die Seelenmesse für sie zu lesen, fand er bei aller Hektik Zeit, kam relativ kurzfristig nach Weiz, um hier liebevoll vorzutragen, was ich – glasklar inmitten von besinnungsloser Irauer – aufgeschrieben hatte, für eine Beerdigung, der ich in irrealer Schockstarre beiwohnte, ohne auch nur die geringste Erinnerung daran zu haben.
Woran ich mich gut erinnere, ist, dass ich ihm kurz danach das Versprechen abnahm, auch für mich die Seelenmesse zu halten, sollte ich vor ihm sterben. Er hat es mir sofort und ernsthaft gegeben, ohne meinen Wunsch lächerlich zu machen oder aufgrund unseres Altersunterschiedes als etwas unwahrscheinlich abzutun. Auch mit dieser Bitte fühlte ich mich bei ihm willkommen.
Nun ist er doch vor mir gegangen. Sein Tod ist für mich ganz und gar irreal. Wieder empfinde ich eine dumpfe Schockstarre, von der ich mich lieber nicht erholen möchte.
Denn seit Wolfgangs Tod fühle ich mich nun selbst wieder ein bisschen wie im freien Fall, irgendwie ohne Netz.
Denn so lange er lebte, strahlte er diese unausgesprochene, aber durch sein Leben und Wirken immer mitschwingende Botschaft aus: Wenn du gar nicht mehr weiter weißt, nichts mehr hast oder bist, dann bin ich noch da, dann wird mir schon was einfallen, denn ‚Geht nicht gibts nicht!’…
Ich gebe zu, er war mir eine Art ferner, sicherer Anker, letztes Relikt des zerbrochenen Geländers, an dem man eben so dahintaumelt, die Schicksals-, Kreuz- und Lebenswege entlang. Geh nicht, Wolfgang!, würde ich gern sagen.
Und: Gibt’s nicht, dass es dich hier nicht mehr gibt.