Zum Ableben von Pfarrer Pucher: Eine Lücke, die nicht zu füllen ist

Nachruf

Eine Säule unserer Gesellschaft hat am 19. Juli 2023 dieses irdische Leben verlassen. Worte, die unserem Gründer gerecht werden, gibt es nicht. In seinem Andenken möchten wir dennoch einen Versuch wagen. Ruhe in Frieden, lieber Wolfgang!

(c) VinziWerke

„Mein Leben ist nicht so fehlerfrei und integer, wie ich es selber gerne gelebt hätte und wie andere Menschen mich einschätzen. Ich weiß, dass ich vor meinem ewigen Richter nicht so gut wegkomme, wie manche meinen.“ Anlässlich seines doppelten Jubiläums im heurigen Jahr, 60 Jahre als Priester und 50 Jahre als Pfarrer von St. Vinzenz, ist VinziWerke-Gründer, Pfarrer Wolfgang Pucher, nachdenklich geworden. 

Weil er „nicht so fehlerfrei“ gewesen ist und gelebt hat, wollte er Gott bitten, ihn „für den Dienst an den Armen in jene ewige Gemeinschaft aufzunehmen, zu der wir alle unterwegs sind“, erklärte er zuletzt.

Sein unermüdlicher Einsatz für die Bewohner*innen der Heßgasse war beispielhaft dafür, wie konsequent er den „Armendienst“ lebte. Die Adresse des so genannten „Delogiertenwohnheims“ der Stadt Graz war Ausdruck einer Stadt, die mit dem steigenden Elend überfordert war. Erst die Hartnäckigkeit und den eisernen Willen eines Pfarrer Puchers hat es gebraucht, um sie schlussendlich 1986 vom Grazer Stadtplan verschwinden zu lassen. Menschen, die bis dahin unter widrigen Bedingungen gehaust hatten, konnte dank seiner Initiative ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden.

In dieser ewigen Gemeinschaft ruht er nun: Pfarrer Wolfgang Pucher, geistliches Oberhaupt der Pfarre St. Vinzenz der letzten 50 Jahre, Lazarist, Künstler und Kunstsammler, Ästhet und Naturverbundener, Dalmatien-Liebhaber und leidenschaftlicher Archivar, nicht zuletzt Gründer der VinziWerke und deren moralischer Richtungsweiser, ist am 19. Juli 2023 im Alter von 84 Jahren zu Gott heimgekehrt. In unserer Organisation, unserer Pfarrgemeinde, in der Gesellschaft und im Kampf gegen Ungerechtigkeit an den Schwächsten hinterlässt er eine Lücke, die nicht zu füllen ist.

Wolfgang Karl Pucher wurde am 31. März 1939 als ältestes von drei Kindern in Hausmannstätten bei Graz geboren. In seinem Heimatort Zerlach lebte er mit seinen Geschwistern und Eltern – einer Schneiderin und einem Schuhmacher –, bis sein Vater im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geriet und im Ausland fiel. Seine Mutter musste fortan für die Familie sorgen. Bereits damals fühlte er sich zu einem Leben im Dienste Gottes berufen. Im Bestreben, eines Tages Priester zu werden, besuchte er das Bischöfliche Knabenseminar in Graz. Doch diese Erfahrung sollte keine erfreuliche werden: „Weil ich sieben ‚Nicht Genügend‘ hatte, sah sich die Schulleitung aufgrund ihrer Qualitätsansprüche gezwungen, mich nicht wiederholen zu lassen“, erinnerte er sich. Der Moment, in dem er dachte, dass er nie seiner Berufung als Priester folgen können würde, war einer der traurigsten in seinem Leben. Doch das Knabenseminar der Lazaristen sollte ihn trotz seiner Noten 1953 aufnehmen und ihn so seinem gewählten Pfad weitergehen lassen. Am 7. Juli 1963 wurde er von Bischof Josef Schoiswohl in der Basilika Mariatrost zum Priester geweiht.

Seine Ordensgemeinschaft berief ihn sechs Jahres später als Internatsleiter an das St. Georgs Kolleg in Istanbul. Später sollte er von jener Zeit als der „aufregendsten, spannendsten und auch bewegendsten meines Lebens“ erzählen. Mitunter auch, weil er dort einem ungekannten Elend begegnete: Angesichts von 10.000 obdachlosen Kindern, die auf den Straßen Istanbuls lebten, fühlte er sich von seiner Machtlosigkeit überwältigt und nicht zum letzten Mal nahe dem Beschluss, aufzugeben. Nicht immer konnte er in Gott die erhoffte Antwort finden, nicht sofort. Doch sein unerschütterlicher Glaube an die Vorsehung wurde immer wieder unter Beweis gestellt.

Als der damalige Pfarrer von St. Vinzenz Johann Treyer 1973 zum Provinzial gewählt wurde, kam Wolfgang Pucher als einzig möglicher Nachfolger in Frage. Er kehrte zurück nach Graz und versprach als nunmehriger Pfarrer „für alle Menschen da“ zu sein, „vor allem aber für jene, die mich am meisten brauchen.“ Die letzteren fand er bald darauf in der Heßgasse.

Den Predigten von Pfarrer Pucher lauschten Menschen immer mit großem Interesse. Nicht nur, weil sie dem Glauben zutiefst verbunden waren, sondern weil er immer einen Weg finden konnte, Menschen mit dem, was er sagte, zu fesseln – ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Als ich in die Pfarre St. Vinzenz kam, gab es dort bereits eine Vinzenzgemeinschaft. Sie agierte allerdings so, wie alle anderen zu diesem Zeitpunkt: Alte Männer halfen alten Männern“, war eine Beschreibung, die er ungeschmückt auf diese Zeit zurückführte. Aber er nahm die Not wahr. Diese war genauso wenig geschmückt, selbst verschuldet, gemeinhin nicht „der Hilfe würdig“. Doch Narrative wie dieses hatten in dem Weltverständnis von Wolfgang Pucher keinen Platz. Die menschliche Würde stand über allem, unabhängig der Umstände, die eine Person in ihre Notlage brachte.

Auch die passenden Weggefährten stellte ihm die Vorsehung an die Seite: In einem Bus auf dem Weg nach Frankreich sprach er junge Menschen aus seiner Pfarre an, ob sie nicht bereit wären, sich um jene zu kümmern, denen niemand sonst die Hand ausstreckt. Personen aus diesem Bus bilden bis heute noch einen Teil der Vinzenzgemeinschaft.

Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen. Dennoch gehört auch diese festgehalten: 40 Einrichtungen und Projekte der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg – VinziWerke sind seinem Handeln entsprungen. Tausende Menschen wurden in ihrer Not aufgefangen, ihnen wurde mal eine warme Mahlzeit und ein Bett, mal eine annehmbare Übergangslösung, mal auch eine aussichtsreiche Zukunft zuteil. All ihnen schenkte er aber ein „vinziges“ Stück Hoffnung und in vielen weckte er die Motivation, sich auch um jene zu bemühen, die sich nicht um sich selbst bemühen können. Weil auch sie Würde und ein Begegnen auf Augenhöhe verdienten.

Und so scheidet eine Säule unserer Gesellschaft, ein Kompass in Richtung einer Zukunft ohne Armut, eine Ermahnung gegen das Anlegen von Scheuklappen aus dem irdischen Dasein. So uneinsichtig seine Gedanken zu Lebzeiten auch waren – heute lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sein größter Wunsch dem Weiterbestehen seines Lebenswerks gegolten hat. Die VinziWerke sollen „genauso bleiben wie sie sind“, hatte Pfarrer Pucher immer betont. Ein „wir können nicht“, „wir wissen nicht, wie“, oder gar ein „wir haben nicht das Geld dafür“ waren für ihn inakzeptable Variablen. So stehen die VinziWerke von nun an unter seinem Lebensmotto „geht nicht gibt’s nicht“ und wünschen Pfarrer Pucher ein glückseliges Bestehen in der ewigen Gemeinschaft, die uns alle erwartet.

Im Namen all jener, für die du dich mit unerbittlichem Willen kompromisslos eingesetzt und denen du ein „vinziges“ Stück Hoffnung geschenkt hast, sagen wir von ganzem Herzen DANKE. Mögest du in Frieden ruhen.

Biografie

31. März 1939Geboren in Hausmannstätten bei Graz
1945 bis 1949Ministrant & Volksschüler in seiner Heimatgemeinde
1953Wolfgang Pucher muss das Bischöfliche Gymnasium aufgrund schlechter Noten verlassen, wird aber im selben Jahr im Knabenseminar der Lazaristen aufgenommen. Das Internat befindet sich im Gebäude der heutigen Koordinationsstelle VinziHaus in der Lilienthalgasse 20
1958Er schließt das Carneri-Gymnasium mit Matura ab
21. August 1958Wolfgang Pucher wird mit dem Ordenskleid der Lazaristen eingekleidet und tritt sein Noviziat an
7. Juli 1963Bischof Josef Schoiswohl weiht ihn zum Priester
1966Die Ordensoberen berufen ihn als Kaplan in die Pfarre der Schmerzhaften Mutter (Mariengasse Graz) ein
1969Er wird als Internatsleiter an das St. Georgs Kolleg in Istanbul berufen
1973Nach der Wahl des bestehenden Pfarrers Johann Treyer zum Provinzial wird Wolfgang Pucher der neue Pfarrer von Graz-St. Vinzenz
1988Ehrenzeichen der Landeshauptstadt Graz in Gold
1990Pfarrer Pucher gründet die VinziWerke
1998Großes Ehrenzeichen des Landes Steiermark
2000Ute Bock Preis von SOS Mensch
2002Bundesehrenzeichen
2005Österreicher des Jahres im Bereich Soziales
2005Ehrenbürger von Hostice
2008Greineckerpreis für Zivilcourage
2008Leopold Kunschak – Anerkennungspreis
2009Gustl 58 „Initiative zur Herzensbildung“
2012Essl Social Prize
2013Ehrenbürger von Zerlach
2015Silbernes Ehrenzeichen der Republik Österreich
2017Goldenes Ehrenzeichen des Landes Steiermark
2018Humanitätspreis des Österreichischen Roten Kreuzes
2021Bauherrenpreis für das VinziDorf Wien
19. Juli 2023Pfarrer Wolfgang Pucher, CM, erleidet im Urlaub an seinem Lieblingsort an der dalmatischen Küste einen medizinischen Notfall und verstirbt trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen
Wenn Sie uns dabei unterstützen möchten, Pfarrer Wolfgang Puchers Vermächtnis weiterzuführen, können Sie einen wertvollen Beitrag leisten. Ihre Spenden und ehrenamtliche Mitarbeit ermöglichen es uns, Menschen in Not zu helfen.