Die Unsichtbaren- aber Unverzichtbaren

Zuerst erschienen im „Armendienst in Österreich“, Jahrgang 38/3, im August 2023

707 Freiwillige unterstützen in Südtirol in 52 Vinzenzkonferenzen und 17 Helfer*innen-Gruppen jährlich rund 4.000 Menschen in schwierigen Situationen diskret und unbürokratisch. Von: Maria Lobis

Respekt, Empathie und Rücksichtnahme machen uns zu Menschen. Zuhören, Zuwendung und Zustimmung bräuchten alle Personen, besonders aber Menschen in Not“, erklärt der Zentralratspräsident der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft (VG) Josef Haspinger. Bedürftigkeit und Not sind im vergangenen Jahr 2022 auch in Südtirol gestiegen. Der Krieg in der Ukraine, die gestiegenen Strom- und Heizspesen, die auf einem Jahrzehnte-Höchststand befindliche Inflation: Für viele Leute südlich des Brenners haben die Teuerungen zu schier unlösbaren Problemen geführt: Arme werden ärmer, der Mittelstand bricht weg. Aber auch die Solidarität steigt. Haben 2021 noch 670 Freiwillige mitgearbeitet, so waren es 2022 mit 707 Personen um 5 Prozent mehr an Menschen, die im ganzen Land ehrenamtlich und diskret Not lindern.
Kaum jemand in Südtirol kennt die Not der Menschen so gut wie die Mitglieder der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft. Die landesweite Schere bei den Einkommen und beim Vermögen klafft immer weiter auseinander. Jeder sechste Haushalt ist armutsgefährdet (17 Prozent). Solidarisches Handeln sei notwendiger denn je, erklärt Josef Haspinger. Es brauche eine Haltung des Wir.

Da ist Karl.

(Die Namen der Betroffenen wurden geändert) Das Einkommen als Gabelstaplerfahrer reichte ihm sein Arbeitsleben lang zum Auskommen. Er hat stets zur Miete gewohnt, auch jetzt als Rentner. Doch 2022 ist die Stromrechnung gestiegen und eine Ärztin hat ihm eine Therapie verschrieben, um seine Schmerzen in den Beinen unter Kontrolle zu bekommen. Karl muss sie aus privater Tasche bezahlen. Am Monatsende hätte der 67-Jährige nur mehr Nudeln zum Essen, könnte er nicht im VinziMarkt in Bozen kostenlos Lebensmittel beziehen.

Da ist Maria.

Das Teilzeitgehalt der alleinerziehenden Mutter von zwei Grundschulkindern reicht nicht. Die Miete ist hoch, die Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Oft weiß Maria am Monatsende nicht, wie sie die Kosten bestreiten und ihren Töchtern Teilhabe ermöglichen kann. Die Sozialdienste haben sie an die Vinzenzkonferenz ihres Wohnortes verwiesen: Bei der lokalen VinziTafel erhält Maria jetzt zweimal im Monat Lebensmittel, die Vinzenzkonferenz hat außerdem Heizkosten übernommen.
Da ist Markus.
Er wurde aus dem Gefängnis entlassen, stand ohne familiären Rückhalt auf der Straße, ohne Wohnung, ohne Arbeit. Die Strafe hat er nach dem Gesetz verbüßt, aber seine Vergangenheit haftet wie ein Makel an ihm. Um zu verhindern, dass Markus wieder rückfällig wird, hat ihm die Bozner Vinzenzkonferenz einen Schlafplatz in einer Wohngemeinschaft angeboten, die sich um Haftentlassene kümmert. Der Weg zurück in die Gesellschaft bleibt herausfordernd.

Besonderes Augenmerk wird auf den Kampf gegen Einsamkeit gelegt (c) Südtiroler Vinzenzgemeinschaft

Gegen die Einsamkeit

Ein besonderes Augenmerk legen die Freiwilligen der VG auf einsame Menschen. Einsamkeit macht krank. Wie wichtig soziale Beziehungen für Gesundheit und Wohlbefinden sind, zeigt sich dann, wenn Kontakte fehlen. Einsamkeit kommt in allen Altersgruppen vor. Besonders oft sind ältere Menschen betroffen. Sie haben zunehmend weniger Bezugspersonen; Familienangehörige, Lebenspartner*innen, Freund*innen und Bekannte sterben weg. Sie leben öfter allein, sind weniger mobil und häufiger krank, verlassen seltener die Wohnung. Altersarmut begünstigt Einsamkeit als zusätzlicher Risikofaktor. Koordinierte Besuchsdienste der Vinzenzkonferenzen beugen depressiven Störungen vor und bereichern Besuchte wie Besucher*innen.

Zwei VinziTafeln sind im vergangenen Jahr 2022 in Südtirol neu entstanden: in Mals im Vinschgau und in Salurn im Unterland. Die verteilten Waren kommen hauptsächlich von der LandesTafel/Banco Alimentare, von Geschäften, Genossenschaften, Produzent*innen und Privatpersonen. Auch die KleiderKammer in Toblach im Pustertal wurde neu gegründet, genauso wie die Vinzenzkonferenz Gsies-Welsberg-Taisten. Der Vinzenzbezirk Burggrafenamt stellt obdachlosen Menschen in Meran seit November 2022 jeweils donnerstags im Rahmen des VinziBus eine kostenlose Mahlzeit bereit.
„Wir setzen uns dort ein, wo Menschen durch das soziale Netz fallen“, erklärt Josef Haspinger. Das sei nicht einfach, erfordere Fingerspitzengefühl, Diskretion und Durchhaltevermögen. Aber das Netz wird stärker: Haben 2021 in den 52 Südtiroler Vinzenzkonferenzen und zwölf Helfer*innengruppen 670 Freiwillige mitgearbeitet, so waren es am Jahresende 2022 genau 707 Personen, die im ganzen Land ehrenamtlich und diskret Not lindern, Menschen auf Augenhöhe begegnen, ihnen ein offenes Ohr schenken. Auch das Spendenaufkommen der Vinzenzgemeinschaft bleibt stabil: Rund 600 Spender*innen haben im Jahr 2022 mehr als eine Million Euro zur Verfügung gestellt.
Steigende Kosten für Lebensmittel und Energie bei gleichbleibenden Löhnen wachsen den Menschen über den Kopf. Viele können sich das Notwendigste nicht mehr leisten, anderen fehlen in ihrer Einsamkeit Sinn und Aufmerksamkeit. Ohne VinziMarkt, VinziTafeln und Kleiderkammern, ohne die punktuelle finanzielle Unterstützung täten sich immer mehr Menschen in Südtirol schwer, über die Runden zu kommen.

Dass sich Not versteckt und die Menschen beschämt, das erfahren die sozial engagierten Freiwilligen der Vinzenzkonferenzen täglich. Umso wichtiger ist es, dass sich das Netz der Vinzenzkonferenzen und Helfer*innen-Gruppen über das gesamte Land zieht. Bei oberflächlichem Hinsehen werde die Not in der Nachbarschaft oft nicht erkannt, sagt Josef Haspinger. Genaues Hinschauen ist umso wichtiger.

Die Not steigt

Auch die Wohnungs- und Obdachlosigkeit steigt in Südtirol. Im heurigen Jänner wäre Mostafa Abdelaziz Aboulela aus Nordägypten 20 Jahre alt geworden, in der Nacht vom 8. auf 9. Dezember 2022 ist er in Bozen Süd erfroren. Er hatte um Unterkunft gebeten und wurde wie weitere rund 170 obdachlose Menschen auf eine Warteliste gesetzt. Obdachlose Menschen sind im Winter der Kälte schutzlos ausgeliefert, haben kein warmes Bett, keine Waschgelegenheit, können ihre Kleidung nicht wechseln, sind ohne Schutz und vielen Bedrohungen ausgesetzt. Zu den strukturellen Gründen von Wohnungslosigkeit gehören steigende Wohnkosten, prekäre Miet- und Arbeitsverhältnisse, häufiger Wohnungswechsel, erfolglose Jobsuche und materielle Armut. Zu den persönlichen Gründen zählen Familien- und Beziehungskrisen, psychische und seelische Erkrankungen, Gewalt im Elternhaus, Alkohol- und Drogenkonsum. Im März 2023 hat die Vinzenzgemeinschaft das Hygienezentrum VinziShower eröffnet. Sauberkeit schenkt Würde und gibt Menschen ihren Selbstwert zurück. In der Kapuzinergasse 6 in Bozen können wohnungs- und obdachlose Menschen duschen und ihre persönliche Wäsche waschen. Toiletten, Duschen, Waschmaschine und Trockner können kostenlos genutzt werden, Waschmittel, Duschgel, Handtücher, Shampoo und saubere Unterwäsche zur Verfügung gestellt.

In seiner Tätigkeit ist die Südtiroler Vinzenzgemeinschaft gänzlich von Spenden abhängig. Informationen erhalten Interessierte bei der Vinzenzgemeinschaft in Bozen unter Tel. +39 0471 324 208, info@vinzenzgemeinschaft.it und online.