„Schmerzen? Mit anem Tabletterl und a poar Bier g’spier is eh nimma!“ Solche oder ähnliche Sätze hört man von wohnungslosen Personen immer wieder. Betroffene Menschen versuchen, ihren Schmerz eher mit diversen Hilfsmitteln zu betäuben, als ihn behandeln zu lassen. Aber wie kommt es dazu? Von: Maria Scheiblauer
Dieser Artikel erschien zuerst im „Armendienst“, Jahrgang 38/2, im Juni 2023

Die WHO definierte 1948 Gesundheit wie folgt: „Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Das sind sehr viele Bereiche, die in Ordnung sein müssen, um als gesund zu gelten.
Für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, aus ihrer Bahn geworfen wurden ist es schier ein Ding der Unmöglichkeit, gesund zu sein. Der Weg zu gesundheitsbezogenen Leistungen ist für viele mit immensen Zugangsbarrieren behaftet.
Fehlender Leistungsanspruch:
Wohnungslose Menschen, die in Österreich nicht versichert sind, haben häufig nur ein Recht auf Notfallversorgung. Möglichkeiten zur Behandlung von aktuellen oder chronischen Erkrankungen, die darüber hinausgehen, bestehen kaum.
Organisatorische Hürden:
Es stellen oft schon Terminvereinbarungen eine große Barriere für wohnungslose Menschen dar. Fehlende Adressen, Sprachbarrieren, oder die Unsicherheit, ob ein Termin überhaupt eingehalten werden kann, können Menschen schon daran hindern. Hinzu kommen langen Wartezeiten, bis ein Termin überhaupt verfügbar ist.
Finanzielle Hürden:
Zusätzlich werden Kosten für die medizinische Behandlung (Rezeptgebühr, Selbstbehalt bei Heilbehelfen, Fahrscheine…) als sehr hohe Belastung angesehen. Viele wohnungslose Personen leben am Existenzminimum und es stehen nur sehr wenige finanziellen Ressourcen zur Verfügung. Im Vordergrund steht die Deckung der Grundbedürfnisse.
Soziale Barrieren:
Neben den bereits genannten Hürden werden Leistungen der medizinischen Versorgung trotz bestehender Rechtsansprüche aus subjektiven Motiven wie Angst, Scham, Misstrauen, negativen Erfahrungen nicht genützt. Oftmals haben wohnungslose Menschen das Gefühl, nicht erwünscht zu sein, nicht verstanden oder ernst genommen zu werden. Oft schwingt auch die Angst mit, sie könnten eine schwerwiegende Diagnose bekommen.
Aus diesen Gründen geht die Tendenz zur Verdrängung der Realität, sowie einem gewissen Optimismus, der das Leben unter Extrembedingungen erleichtert. Für wohnungslose Menschen stellt die Befriedigung der täglichen Grundbedürfnisse (Organisieren eines Schlafplatzes, Essen,…) eine große Herausforderung dar, daher rückt die Wichtigkeit der Gesundheit in den Hintergrund und es wird eher eine professionelle Hilfe in Form von Reparaturmedizin akzeptiert als eine präventive, zukunftsorientierte Lebensplanung.
„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“
Arthur Schopenhauer
Wie können nun die Ressourcen zur Gesundheitsförderung aktiviert werden?
Gesundheit und Wohnungslosigkeit müssen in einem ganzheitlichen Ansatz gesehen werden, die ausschlaggebenden Faktoren dabei sind: Bereitstellung, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Leistbarkeit:
Gesundheitsversorgung muss für alle gewährleistet werden und auch wohnungslose Menschen miteinbeziehen. Dies kann auch in der Erweiterung des Angebots wie mobile Ärzt*innen-Teams, Ambulanzzeiten in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe,… erfolgen. Wohnungslose Menschen stehen vor den eingangs erläuterten Barrieren, die den Zugang limitieren. Hilfreich ist der sehr niederschwellige Zugang zu ärztlichen Leistungen und die Bereitstellung einer Rundumversorgung. Dies dient dazu, Vorbehalte abzubauen und den Wiedereinstieg in das österreichische Gesundheitssystem zu erleichtern:
- Ohne Termin in Einrichtungen zu kommen, die Ambulanzzeiten anbieten
- keine langen Wartezeiten
- Hausapotheke
- Versorgung von Haustieren während Krankenhausaufenthalten
Ein zusätzliches Ziel ist die Stärkung persönlicher und sozialer Ressourcen von Personen, die aufgrund ihrer Lebenssituation besonders verletzlich sind. Multiprofessionelle Teams sind der Schlüssel, um an der Teilnahme an gesundheitsfördernder Maßnahmen zu motivieren. Dies geschieht vor allem durch positive Erlebnisse in alltagsorientierten Settings – etwa bei niederschwelligen, informellen Angeboten, wie Koch- oder Bewegungsgruppen und Musik. Sie stärken das Selbstvertrauen und machen Mut, wenn es darum geht, eigene Anliegen bei Behörden, Gesundheitseinrichtungen oder Beratungsstellen zu vertreten.
Maria Scheiblauer ist die Leiterin des VinziDorf Wien