Seelische Gesundheit

In unserer Gesellschaft wird nach wie vor jeder als krank akzeptiert, wenn er Fieber hat, irgendwo eingegipst ist oder aber zumindest einen Laborbefund vorweisen kann, der eine Abweichung von Normwerten zeigt. Was aber ist mit jenen, die somatisch als gesund eingestuft sind, bei denen – wie es in der Ärztesprache so schön heißt – „alles oB“ ist?

Von: Sabine Steinacher

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Armendienst 37/4 im Oktober 2022

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In der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Gesundheit folgendermaßen definiert: „Ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“

Und dennoch werden psychische Erkrankungen mit einem einfachen „Kopf hoch“ oft abgetan. Betroffene Menschen empfinden nach wie vor ein starkes Schamgefühl, wenn sie psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Bei der Frage nach einer Abwesenheit wird in einem Fall wie selbstverständlich geantwortet: „War auf der Kardiologie, hab‘ einen Herzkatheter bekommen.” Dieselbe Frage an einen Menschen gestellt, der einen stationären Aufenthalt auf einer psychiatrischen Abteilung hinter sich hat, erzeugt beim Betroffenen meist ein beklemmendes Gefühl mit der Frage an sich selbst: „Was soll ich nur sagen?“ 

Was ist denn nun dieses seelische Wohlbefinden, die seelische Gesundheit? Man versteht darunter ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann. Wie kann ein Mensch diesen Zustand erreichen, was braucht es alles dazu? Viele Faktoren wirken dabei zusammen: Selbstvertrauen, Lebenssinn, Gefühle zulassen, Freiheit, Sicherheit und soziale Beziehungen; gute Arbeitsbedingungen, lieben und geliebt werden und das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse. Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, ein geregelter Tagesablauf, ausreichend Erholung und Schlaf unterstützen die seelische Gesundheit ebenfalls. Natürlich auch der Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum. Was nicht vergessen werden darf, sind wirtschaftliche- und Umweltfaktoren.

Als Leser*in dieser Zeilen werden Sie nun die berechtigte Vermutung haben, dass für die Bewohner*innen der VinziWerke eine Erreichung dieses Zustands sehr schwer oder gar nicht möglich sein kann. Ihr Selbstvertrauen ist zer-/gestört, der Lebenssinn steht auf äußerst wackeligen Beinen, soziale Beziehungen sind kaum vorhanden.

Schon Martin Buber (österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph) betonte die Heilsamkeit der Beziehung. Die Einstellung von uns „Vinzis“ unseren Bewohner*innen gegenüber, sie so anzunehmen, wie sie sind, ihnen mit Respekt zu begegnen und ihnen für die Dauer ihres Aufenthalts bei uns tragfähige Beziehungen zu bieten, ist das, was wir für sie tun können. Darüber hinaus für ihre Grundbedürfnisse zu sorgen, ihnen existenzielle Ängste zu nehmen und damit ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen, trägt ebenfalls zu einer Verbesserung der seelischen Gesundheit bei.

Das ist es, was wir für unsere Schützlinge tun können – nicht mehr, aber auch nicht weniger.