Die Sucht, eine Suche

Dieser Artikel erschien zuerst im Armendienst 37/4, Oktober 2022

Die Sucht ist ein Kreis, in welchem man sich dreht und nicht so schnell wieder rauskommt, sobald man einmal drinnen ist. Dies ist meist die Realität der VinziDorf-Bewohner*. Von: Marion Lechner

Im VinziDorf Graz finden sich seit fast 30 Jahren Männer* ein, welche nicht nur von Obdachlosigkeit betroffen waren, sondern auch an einer Alkoholabhängigkeit erkrankt sind. Hier, im VinziDorf, wird der Ansatz verfolgt, die Lebensumstände und somit auch das Suchtverhalten der Bewohner* nicht verändern zu wollen und sie so anzunehmen, wie sie sind, weshalb es auch erlaubt ist, in der Einrichtung zu trinken – hochprozentiges ausgeschlossen. Natürlich gibt es Ausnahmen, denn einige Bewohner* trinken keinen Alkohol oder haben damit aufgehört. Andere Bewohner* trinken stets, jeden Tag, und leben mit ihrem Trinkverhalten so, dass der Alltag für sie funktioniert. Manche leiden jedoch stark unter ihrer Alkoholabhängigkeit, ärgern sich über sich selbst und ihr Verhalten und streben aufgrund dessen die Abstinenz an – welche aber nur selten und wenn, dann schwer, erreichbar ist.

Ein Bewohner*, der seit einiger Zeit im VinziDorf lebt, befindet sich genau in einem solchen Kreis. Zum einen leidet er unter seiner Sucht und zum anderen trinkt er, weil er so leidet, aufgrund von vergangenen Brüchen und Verlusten, von welchen sein Leben gezeichnet ist. Immer wieder findet er sich auf der Entzugsstation des Krankenhauses ein. Anfangs dauerte die Phase der Abstinenz nach dem Krankenhausaufenthalt noch länger an. Der Bewohner* besuchte in einer länger andauernden abstinenten Phase so viele Konzerte wie möglich, am liebsten hat er klassische Musik. Doch leider verkürzen sich diese Phasen zunehmend, bis sie nicht mehr vorhanden sind und der Erholungsfaktor sinkt. Es ist nicht nur für den betroffenen Bewohner* frustrierend, sondern auch für die Helfer*innen, welche ihn begleiten und unterstützen, so gut es geht. Der Betroffene selbst ist oft erschrocken über sein Trinkverhalten, und meint „Das kann es ja nicht sein, das bin nicht ich!“. Durch die Verluste in seiner Vergangenheit, welche ihm zusetzen und immer wieder aufs Neue in ein tiefes Loch fallen lassen, gelingt es ihm einfach nicht, sein Trinkverhalten in den Griff zu bekommen. Das Trinken ist sein Weg, um die Dinge auszuhalten und zu verdrängen, welche ihn so sehr belasten.

„Jede Sucht hat einmal als Suche begonnen.“, sagte Andreas Tenzer, ein deutscher Philosoph und Pädagoge. Als Suche nach einer Linderung für psychische und physische Schmerzen, Suche nach einer Auszeit von den eigenen Problemen, wenn man keinen anderen Ausweg mehr findet, oder als Suche nach Motivation, um in den Tag starten und diesen bewältigen zu können. Andere Suchen den Ausweg und die Erleichterung vielleicht im Sport, in Freunden und Familie oder anderen Dingen.
Es ist also leicht zu sagen – „Hör einfach auf zu trinken! – denn der Weg ist ein steiniger, mit vielen Hürden und Hindernissen. Wir, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen des VinziDorf, können nur versuchen, die Bewohner* auf ihrem Weg zu begleiten und sie dabei zu unterstützen, ihren Alltag, abstinent oder im Rausch, zu bewältigen.