Beziehung. Der Duden hält Begriffe, wie „eng unterhalten“, „Kontakt setzen“ oder „Freundschaft“ als Umschreibung bereit. Sehr einfach, oder vielleicht doch nicht? Wir pflegen gute Beziehungen, aber auch schlechte. Wir haben freundschaftliche Beziehungen aber auch professionelle. Wir haben Liebesbeziehungen, aber auch Gewaltbeziehungen. Unser gesamtes Leben ist geprägt von Beziehungen.
Von: Sabine Steinacher
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Armendienst 36/4 im Dezember 2021

Oft werde ich gefragt: „Wie funktioniert das bei euch im VinziDorf mit diesen schwierigen Männern*?“. Meine Antwort darauf lautet immer: „Es kann nur funktionieren, weil wir zu unseren Bewohnern* eine enge Beziehung haben“. Was aber bedeutet das? Es kann doch in diesem Umfeld nicht davon ausgegangen werden, so zu tun, als hätten wir es mit familiären Verhältnissen zu tun.
Nein, wir können unseren Bewohnern* weder die Familie, noch eine Partnerschaft ersetzen. Das, was wir ihnen geben können, ist das Gefühl von Stabilität. Sie können erleben, dass man mit Menschen eine Beziehung eingehen kann (freundschaftlich und dennoch professionell), die nicht einfach abgebrochen wird. Sie können bei uns Beziehungserfahrungen machen, die ihnen oftmals verwehrt geblieben sind. „Nachnähren“ bezeichnet man das im therapeutischen Kontext und das bedeutet, einem Menschen die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen, die in der Kindheit nicht oder in schädigender Art gemacht wurden, in einer positiven Weise nachzuholen.
Das ist es, was wir für unsere Bewohner* tun können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dabei macht es für uns keinen Unterschied, wer unser Gegenüber ist oder welcher Rucksack an Belastungen mitgebracht wird. Für uns zählt der Mensch im Hier und Jetzt. Kann er sich darauf einlassen, mit seinen Mitbewohnern* in einer Gemeinschaft zu leben? Mag er vielleicht Angebote, die wir ihm machen, annehmen, oder auch nicht? Egal, wie er sich entscheidet – es ist SEINE Entscheidung. Vertrauen ist ein wichtiger Faktor in unseren Beziehungen zu den Bewohnern*. Sie können darauf vertrauen, dass wir sie so annehmen, wie sie sind. Wir bewerten nicht, wir korrigieren nicht, wir therapieren nicht, wir geben ihnen das Gefühl, dass wir sie mögen – so wie sie sind, mit allen Besonderheiten, mit allen Ecken und Kanten. Sie brauchen bei uns keine Energie dafür zu verwenden, sich zu verstellen, um irgendwelchen Normen zu entsprechen. Sie brauchen sich nicht für ihre Besonderheit, für diese Art des Lebens, die sie aus welchem Grund auch immer, gewählt haben/wählen mussten, zu schämen. Das entlastet sie, das nimmt ihnen Druck und ermöglicht eine gewissen Stabilität in der Instabilität – mehr können wir oft nicht erreichen, doch das genügt auch.
Manchmal gelingt es Bewohnern*, wieder in ein – wenn Sie so wollen – „normales“ Leben zurückzukehren. Natürlich freut uns das auch, erfüllt uns mit Stolz. Mit großer Freude begleiten wir diese Menschen in ein Leben außerhalb des VinziDorf. Die meisten bleiben mit uns in mehr oder weniger engem Kontakt. Warum ist das so? Weil sie die Beziehungserfahrung, die sie im VinziDorf gemacht haben, nicht missen wollen. Was bleibt, ist die Tatsache, dass sie immer wissen, wo sie uns finden, wenn sie Unterstützung brauchen – und das erfüllt uns mit großer Freude. Weil es eine Bestätigung unserer Arbeit ist und ein Beweis dafür, dass tragfähige Beziehungen (auch) in schwierigen Lebenssituationen mehr sind als „Verbindung, Kontakt zwischen Einzelnen oder Guppen“.