Ein Virus verändert (hoffentlich!) unser Leben

Nicht als Zeit der Entbehrungen, sondern als Gelegenheit zur Besinnung aufs Wesentliche – so sollten wir die vergangenen Lockdowns in Erinnerung behalten. Daraus könnte eine „neue Normalität“, ein „Goldenes Zeitalter“ entspringen.

Von: Dieter Monitzer
Zentralratspräsident der Vinzenzgemeinschaften Wien

Dieser Artikel ist in Auszügen in der Österreich-Ausgabe unserer Zeitung Armendienst im August 2021 erschienen.

Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde (c) Bild von Anemone123 auf Pixabay
Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde (c) Bild von Anemone123 auf Pixabay

Wir leben heute in einem globalisierten liberalen Markwirtschaft-System, das vor allem ständig Wachstum benötigt, um nicht zu kollabieren und das auch einen ständig wachsenden Energiebedarf erfordert. Wenn man ehrlich ist und es auf den Punkt bringt, muss man sagen, dass Profitmaximierung der einzig bestimmende Faktor ist. Schonung der Umwelt und Wohlbefinden und Glück der Menschen haben bestenfalls Bedeutung am Rande und finden keinen Niederschlag in den Bilanzen.

Das erzeugt Leistungsdruck und Angst, dem nicht gewachsen zu sein, und permanenten Stress. Corona hat uns im Lockdown gezwungen, das Tempo und unsere „Freizeit-Inszenierungen“ zu reduzieren, Zeit zum Träumen zu haben für die kleinen und schönen Dinge, die wir sonst so leicht übersehen. Wir erlebten das Erwachen der Natur, die ersten Blüten. Bei entspannten Spaziergängen genossen wir die wunderbare Luft und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen.

Die Einfachheit, Stille, Gelassenheit und genügend Zeit für Träume sind ein offenes Tor zum Glück. Die Pandemie zwingt uns, unseren hektischen Lebensstil herunterzufahren (Lockdown ist ein gutes Bild dafür) und zwingt uns zur Ruhe und Stille und schafft damit den Raum, unser Leben neu zu denken und zu träumen. Ich bin mir sicher, dass das viele Menschen tun – nicht nur wir Alten, sondern vor allem die Jungen, die zurecht eine große Sehnsucht nach einer positiven Lebensperspektive haben.

Die Rückkehr zur sogenannten „alten Normalität“, wie zurzeit lautstark gefordert, wäre fatal. Stattdessen brauchen wir eine „neue Normalität“, ein „Goldenes Zeitalter“, ein „Paradies auf Erden“, hier und jetzt. Die bestimmenden Faktoren unseres Handelns und Wirtschaftens müssen u.a. eine faire Lebenssituation für alle, eine Chance auf ein glückliches erfülltes Leben für alle und ein schonungsvoller Umgang mit der Natur sein.

Das ist die „neue Normalität“, ein herausforderndes Ziel, das wir mit all unseren Kräften und Begabungen gemeinsam, im Zusammenhalt und gegenseitiger Wertschätzung, anstreben müssen.

Schon 1833, zum Zeitpunkt der Gründung der ersten Vinzenzgemeinschaft durch Frédéric Ozanam, Professor an der Sorbonne in Paris, hat dieser treffend formuliert:

„Die Frage, welche die Menschen unserer Tage scheidet, ist … ob die Gesellschaft nur eine große Ausbeutung zum Vorteil der Stärkeren oder die Aufopferung des Einzelnen für das Wohl aller, besonders für den Schutz der Schwachen, sein wird.“

Frédéric Ozanam (1813-1853), Gründer der Vinzenzgemeinschaften

Autor
Dieter Monitzer
Zentralratspräsident Vinzenzgemeinschaften Wien