Eine Umfrage unter den Bewohnerinnen* von VinziLife zeigt, dass die finanzielle Lage nur der erste Schritt ist, um materielle Sicherheit zu empfinden. Welche Formen nimmt weibliche* Armut in einem wohlhabenden Land wie Österreich und wie kann man ihr entgegenwirken?
Von: Jona Ehrlich
Ehrenamtliche Mitarbeiterin VinziLife
Dieser Artikel ist in Auszügen in der Juni-Ausgabe unserer Zeitung Armendienst erschienen.

Im Jahr 2019 waren 1.473.000 Menschen in Österreich „armuts- oder ausgrenzungsgefährdet“¹. Davon waren 653.000 Personen Frauen*. Bei den Männern* hingegen betrug die Zahl 517.000 und bei Kindern bzw. Jugendlichen wurde die Zahl 303.000 genannt (Statistik Austria, 2019). An diesen Zahlen ist zu erkennen: Die Mehrzahl der „Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten“ sind Frauen*. Dies erklärt sich unter anderem durch den Gender Pay Gap, insbesondere bei den Pensionen (siehe Grafik).
Die Graphen verdeutlichen nicht nur die beträchtlichen pensionsbezogenen Brutto-Einkommensunterschiede zwischen Mann* und Frau*, sondern auch zwischen der allgemeinen Pension und der Invaliditätspension. Auch bei den Invaliditätspensionen gibt es einen signifikanten Unterschied der Pensionshöhe zwischen den Geschlechtern. In diesem Zusammenhang sind Frauen* stets finanziell diskriminiert.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was bedeutet materielle Sicherheit oder materielle Absicherung für „armuts- oder ausgrenzungsgefährdete“ Frauen*, objektiv und subjektiv?
Objektiv kann das Konzept der materiellen Sicherheit als das Vorhandensein lebensnotwendiger Güter verstanden werden. Dies können beispielsweise Dinge, wie Schuhe, Kleidung oder eine Wohnmöglichkeit sein. Ebenso können darunter finanzielle und wirtschaftliche Ressourcen verstanden werden. Die Bedingung des Geschütztseins vor Gefahr oder Schaden kann dabei durch hinterlegtes Geld, Wertpapiere oder Ähnliches erfüllt sein.
Es ist möglich, dass objektive, also tatsächlich vorhandene, materielle Sicherheit zu subjektiv wahrgenommener materieller Sicherheit führt. Subjektiv wahrgenommene materielle Sicherheit ist, wenn eine Person sich materiell abgesichert fühlt. In der maslow‘schen Bedürfnispyramide ist das Gefühl materiell abgesichert zu sein eine Bedingung für das Erleben von Freiheit und für Versuche auch die höheren Bedürfnisebenen zu erreichen (siehe Abbildung 1).
Was bedeutet nun materielle Sicherheit auf einer subjektiven Ebene? Um diese Frage zu beantworten, wurde eine Befragung unter den VinziLife-Bewohnerinnen* durchgeführt. Eine Auswahl der Antworten wird hier dargelegt. VinziLife ist eine Einrichtung, die sich grundlegender physiologischer Bedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse von Frauen* annimmt, die von Wohnungslosigkeit oder anderen prekären Lagen bedroht sind.
Die Damen* des Hauses, die eine Pension beziehen, sehen diese auch als einen Pfeiler ihrer materiellen Sicherheit. Eine Dame des Hauses beschrieb, sie fühle sich materiell abgesichert, wenn sie für ihre Grundbedürfnisse sorgen, gesund essen und irgendwo schlafen könne. Sie gab an, um sich materiell abgesichert zu fühlen, sei es für sie notwendig, an einem Ort zu wohnen, an dem sie sich möglichst wohl, sicher und willkommen fühlt. Dabei möchte sie hinter sich die Tür schließen und ihr Heim betrachten können und es schön finden.
Ein weiterer Pfeiler, der das Gefühl von Absicherung untermauerte, war für die Damen* schlicht die Gelegenheit, sparen zu können. Dabei führt die Tatsache, einen finanziellen Polster zu haben, zu einer höheren Lebensqualität. Wenn beispielsweise hohe Zahnarztkosten auf einen zukommen, ist es möglich diese zu bewältigen.
Eine Bewohnerin des Hauses VinziLife sprach über die Trauer und das Mitgefühl, das sie gegenüber den Menschen verspüre, die angesichts der Covid-19-Krise ihre finanzielle Absicherung verlieren.
Einerseits sind die Standards dafür, was in Österreich als materielle Absicherung gilt, im Vergleich zu weniger wohlhabenden Ländern, relativ groß. Andererseits leiden dennoch viele Menschen am Wegfall ihrer materiellen Sicherheit, wie dem Verlust einer Arbeitsstelle und drohender Armut.
Schlussendlich sagte eine Dame*: „Es sollte kein Geld zwischen den Menschen stehen. Alle sollten teilen.“ Dies scheint in Anbetracht der neoliberalen Leistungsgesellschaft, in der wir leben, ein eher schwierig zu verwirklichendes Unterfangen zu sein. Dennoch sei hier die Idee der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens genannt, denn dieses kann Armut verhindern und beenden. Das „Netzwerk Grundeinkommen“ definiert:
- „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Einkommen für alle Menschen,
- das Existenz sichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht,
- auf das ein individuellen Rechtsanspruch besteht,
- das ohne Bedürftigkeitsprüfung und
- ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen
- garantiert wird“ (Netzwerk Grundeinkommen, 2020).
Mag es zwar berechtigte Kritik an dieser Idee geben, könnte das bedingungslose Grundeinkommen ein Spiegel davon sein, wie wir mit den unterprivilegierteren Menschen unserer Gesellschaft umgehen. Denn zeigt sich nicht die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran, wie sie mit Personen in Armut oder prekären Lebenslagen umgeht?
¹ „Der Indikator Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung umfasst die drei Zielgruppen: Armutsgefährdung, erhebliche materielle Deprivation und Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität“ (Statistik Austria, 2020, S. 3).
Quellen:
- Statistik Austria (2019). Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung. Abgerufen am 31. März, 2021
- Statistik Austria (2020). FAQs zum Thema „Armut und soziale Eingliederung“. Abgerufen am 31. März, 2021
- Guttmann, Philip (2012). Einfache Bedürfnishierarchie nach Maslow. Abgerufen am 01. April, 2021
- Netzwerk Grundeinkommen (2020) (Hrsg.). Ohne Angabe des Verfassers: „Die Idee“. Abgerufen am 04. April, 2021
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